Die Utopie der Kunst und ihr (Doch-)Ort. Zur Fortsetzung des Draftsmen’s Congress in Eisenhüttenstadt.

by Ben

Sitzt man an diesem Freitag irgendwo in einem Straßenlokal, dann spürt man sehr deutlich, wie der Sommer 2012 seinem Ende entgegen trottet. Und zwar einerseits am Plaid, das einem über die Beine gelegt wird. Und andererseits daran, dass die Tage frühvollendeter abtreten (jedenfalls nach Meinung der Sonne). So wähnt man sich bereits halb zwölf wie weit nach Mitternacht, fährt durch ein paar Nebelschleier heim und überlegt, was denn der Herbst so bringen könnte.

Wie wäre es mit Kunst, dieser ewig großen Herbstzeitlosen? Der zeitgenössischen Variante bleiben auf der Documenta 13 immerhin noch gut zwei Wochen. Die Berlin Biennale, die überraschend und sehr gelungen auch Eisenhüttenstadt mit den Focus nahm, liegt dagegen nun schon erstaunliche zwei Monate zurück. Und scheint doch nicht ganz vorbei.

Denn vielleicht mehr aufgrund des großen erkannten Potenzials als des großen tatsächlichen Erfolges findet der in der Straße der Republik in Eisenhüttenstadt Ende Juni abgehaltene Draftsmen’s Congress nun nochmals für (mindestens) einen Monat seine Fortsetzung. Ab Samstag dem 01.09. wird das Atelier für alle wieder eröffnet.

Draftsmen's Congress im Herbst

Draftsmen’s Congress im Herbst – ab 01.09.2012 in der Straße der Republik 37.

Eisenhüttenstadt – die Stadt, die Paweł Althamer bereits im Juni mit seiner Idee des Social Drawings auf den Weg zu einer „Stadt der Kunst“ bringen wollte – erhält damit für weitere vier Wochen einen einzigartigen Ort des Kunstschaffens. Nicht die Galerie ist dabei das Ziel, sondern die Interaktion. Nicht die Deutung, sondern die Handlung.

Der von Artur Żmijewski, dem Kurator der 7. Berlin Biennale, eingebrachte Ansatz des Filterns und Aufbrechens etablierter Vorstellungen von vermeintlich exklusiv legitimer Kunstproduktion und Kunstbetrachtung am Beispiel Eisenhüttenstadts folgt damit konsequent einer Entwicklung, deren Perspektive naturgemäß offen bleibt und in nicht geringem Umfang in den Händen eines Publikums selbst liegt, das seine Rolle als Publikum überwindet.

Das Konzept bleibt auch im Draftsmen’s Congress des Herbstes erhalten: Es geht darum, gemeinsam auf einem Grund zu zeichnen und zu malen und dadurch einem offenen und öffentlichen Dialog eine Form zu geben. Man könnte den aus den Interaktionskulturen des Internets bekannten Ausdruck des Prosumenten (Produzent+Konsument) anführen und läge sicher nicht daneben.

Aber eigentlich steht noch etwas viel Einfacheres und Tiefergehendes dahinter: Eine Sensibilisierung für die dialogische Praxis des Kreativseins, das Entwickeln eines Bewusstseins für das Schöpferische und – auch dies – ein Spiel mit der Eigendynamik von Ideen. Denkt man dies weiter, zeigt sich die Überzeugung, dass eine wünschenswerte Gesellschaft immer auf einer Öffentlichkeit beruht, die das wechselseitige Verstehen über das gegenseitige Ausspielen stellt. Zweifellos eine Utopie, die dadurch wunderbar kontrastiert wird, dass sie in einen aus einem anderen utopischen Konzept hervorgegangenen Planstadtraum eingesetzt wird.

Der Hauptunterschied zwischen beiden Utopien lautet, dass die eine auf eine feste und begrenzte Wahrheit zielte und eine klare Antwort anzubieten versuchte, während die andere nach den mannigfaltigen Möglichkeiten von Bewegung und Identität und vielleicht auch Wahrhaftigkeit fragt.

Dass diese Veranstaltung überhaupt so stattfand und nun weiter stattfindet ist bereits selbst Resultat einen grundsätzlichen Offenheit, eines Vertrauens in die positiven Wirkungen kreativen Handelns sowie eines Optimismus dahingehend, dass derartige Impulse auch Wirkungen nach sich ziehen, mit denen niemand zuvor gerechnet hat.

In gewisser Weise verblasst dabei das U der Utopie. Übrig bleibt buchstäblich ein Topos (und also ebenfalls buchstäblich ein besonderer Spielraum).

Die (Wieder-)Eröffnung findet am 01.09.2012 ab 18 Uhr an diesem Doch-Ort, nämlich in der Straße der Republik 37 statt.

(bk, 31.08.2012)