Forget Fear / Filtered by Eisenhüttenstadt

Weblog zu den Aktivitäten der 7. Berlin Biennale 2012 in Eisenhüttenstadt

Category: Draftsmen’s Congress

Ein Tag in Berlin. Die Abschlussbegegnung im Sichtwechsel-Projekt.

by Ben

Die 7. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst ist zwar formell vorüber und wurde zudem im Presseecho weitgehend versenkt. Aber wie es sich für eine derartige Veranstaltung gehört, hört man an der einen oder anderen Stelle nach wie vor wohlklingende Echos und erstaunlicherweise meist dort, wo das Feuilleton kaum einen Blick hinwarf. (Ein jüngerer Artikel auf ZEIT online kompensiert das ein bisschen, jedoch außerhalb des Biennale-Kontextes.)

Ein Beispiel für einen konstruktiven Nachhall ist die Fortsetzung des Draftsmen’s Congress / Kongress der Zeichner in Eisenhüttenstadt, der nun auch noch mindestens den Oktober über das Konzept des Sozialen Zeichnens durchprobiert, das Paweł Althamer von Berlin nach dem berühmten Zwischenfall mit den Pixadores (mehr dazu auch auf taz.de) nach Eisenhüttenstadt transportierte und das nun dort sogar in seiner (ersten) Fortsetzungsrunde stattfindet. Am Freitag den 28.09. wird es zu einem größeren Workshop unter Beteiligung der Initiative USArtBerlin kommen.

Außerdem fand gestern (Dienstag, 25.September 2012) das Sichtwechsel-Projekt zu einer eigenen Form von Abschlusskonferenz. Zu dieser reisten die Schüler der Schönfließer Grundschule von Eisenhüttenstadt nach Berlin, besuchten dort ihre Projektpartner von der Gustav-Falke-Schule und mit diesen den me Collectors Room sowie die Wunderkammer der Stiftung Olbricht, die nicht nur (gemeinsam mit dem Städtischen Museum in Eisenhüttenstadt) als institutioneller Angelpunkt und Leihgeber für das Projekt auftrat, sondern den schätzungsweise 50 Kindern, die fast als eine Art Sichtwechsel-Demonstrationszug durch Acker- und Auguststraße zogen, zusätzlich Selim Varols Universum der Street Art und Toy-Kultur sowie die Wunderkammer der Stiftung nahe brachte. Als Dokumentation des Tages gibt es nachfolgend und zugleich abschließend einige Aufnahmen vom letzten Tag des Sichtwechsel-Projektes, der noch einmal zeigte, wie zeitlos das Motto der Biennale – Forget Fear, überwinde die Furcht – ist, wenn es darum geht, sich offen und auf wechselseitiges Verständnis zielend zu begegnen.

Sichtwechsel / me Collectors Room

Projekt Sichtwechsel / me Collectors Room

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Die Utopie der Kunst und ihr (Doch-)Ort. Zur Fortsetzung des Draftsmen’s Congress in Eisenhüttenstadt.

by Ben

Sitzt man an diesem Freitag irgendwo in einem Straßenlokal, dann spürt man sehr deutlich, wie der Sommer 2012 seinem Ende entgegen trottet. Und zwar einerseits am Plaid, das einem über die Beine gelegt wird. Und andererseits daran, dass die Tage frühvollendeter abtreten (jedenfalls nach Meinung der Sonne). So wähnt man sich bereits halb zwölf wie weit nach Mitternacht, fährt durch ein paar Nebelschleier heim und überlegt, was denn der Herbst so bringen könnte.

Wie wäre es mit Kunst, dieser ewig großen Herbstzeitlosen? Der zeitgenössischen Variante bleiben auf der Documenta 13 immerhin noch gut zwei Wochen. Die Berlin Biennale, die überraschend und sehr gelungen auch Eisenhüttenstadt mit den Focus nahm, liegt dagegen nun schon erstaunliche zwei Monate zurück. Und scheint doch nicht ganz vorbei.

Denn vielleicht mehr aufgrund des großen erkannten Potenzials als des großen tatsächlichen Erfolges findet der in der Straße der Republik in Eisenhüttenstadt Ende Juni abgehaltene Draftsmen’s Congress nun nochmals für (mindestens) einen Monat seine Fortsetzung. Ab Samstag dem 01.09. wird das Atelier für alle wieder eröffnet.

Draftsmen's Congress im Herbst

Draftsmen’s Congress im Herbst – ab 01.09.2012 in der Straße der Republik 37.

Eisenhüttenstadt – die Stadt, die Paweł Althamer bereits im Juni mit seiner Idee des Social Drawings auf den Weg zu einer „Stadt der Kunst“ bringen wollte – erhält damit für weitere vier Wochen einen einzigartigen Ort des Kunstschaffens. Nicht die Galerie ist dabei das Ziel, sondern die Interaktion. Nicht die Deutung, sondern die Handlung.

Der von Artur Żmijewski, dem Kurator der 7. Berlin Biennale, eingebrachte Ansatz des Filterns und Aufbrechens etablierter Vorstellungen von vermeintlich exklusiv legitimer Kunstproduktion und Kunstbetrachtung am Beispiel Eisenhüttenstadts folgt damit konsequent einer Entwicklung, deren Perspektive naturgemäß offen bleibt und in nicht geringem Umfang in den Händen eines Publikums selbst liegt, das seine Rolle als Publikum überwindet.

Das Konzept bleibt auch im Draftsmen’s Congress des Herbstes erhalten: Es geht darum, gemeinsam auf einem Grund zu zeichnen und zu malen und dadurch einem offenen und öffentlichen Dialog eine Form zu geben. Man könnte den aus den Interaktionskulturen des Internets bekannten Ausdruck des Prosumenten (Produzent+Konsument) anführen und läge sicher nicht daneben.

Aber eigentlich steht noch etwas viel Einfacheres und Tiefergehendes dahinter: Eine Sensibilisierung für die dialogische Praxis des Kreativseins, das Entwickeln eines Bewusstseins für das Schöpferische und – auch dies – ein Spiel mit der Eigendynamik von Ideen. Denkt man dies weiter, zeigt sich die Überzeugung, dass eine wünschenswerte Gesellschaft immer auf einer Öffentlichkeit beruht, die das wechselseitige Verstehen über das gegenseitige Ausspielen stellt. Zweifellos eine Utopie, die dadurch wunderbar kontrastiert wird, dass sie in einen aus einem anderen utopischen Konzept hervorgegangenen Planstadtraum eingesetzt wird.

Der Hauptunterschied zwischen beiden Utopien lautet, dass die eine auf eine feste und begrenzte Wahrheit zielte und eine klare Antwort anzubieten versuchte, während die andere nach den mannigfaltigen Möglichkeiten von Bewegung und Identität und vielleicht auch Wahrhaftigkeit fragt.

Dass diese Veranstaltung überhaupt so stattfand und nun weiter stattfindet ist bereits selbst Resultat einen grundsätzlichen Offenheit, eines Vertrauens in die positiven Wirkungen kreativen Handelns sowie eines Optimismus dahingehend, dass derartige Impulse auch Wirkungen nach sich ziehen, mit denen niemand zuvor gerechnet hat.

In gewisser Weise verblasst dabei das U der Utopie. Übrig bleibt buchstäblich ein Topos (und also ebenfalls buchstäblich ein besonderer Spielraum).

Die (Wieder-)Eröffnung findet am 01.09.2012 ab 18 Uhr an diesem Doch-Ort, nämlich in der Straße der Republik 37 statt.

(bk, 31.08.2012)

Bildnern und Zeichnen. Paweł Althamer lädt zur Illustration Eisenhüttenstädter Lebenswelten.

by Ben

Es gibt schon wundersame Wendungen und wer glaubte, mit der Präsentation am 15.Juni seien hinsichtlich der Berlin Biennale in Eisenhüttenstadt schon alle Fotos geschossen, alle Poster gehängt (und abgenommen) und alle Linien gezeichnet, der findet seine Annahmen im Biennale-Lokal in der Straße der Republik pünktlich zum Beginn der brandenburgischen Sommerferien 2012 gründlich widerlegt.

So geballt schlug das Kunstschaffen hier noch nicht in so kurzer Frist ein und auch wenn die Einheimischen fast reflexartig erst auf Abwehr und dann im Gespräch in den Erklärmodus “So etwas interessiert hier doch keinen. Da werden Sie mit ihrer schönen Aktion kein Glück haben.” schalten, um kurz darauf zum Kohlestift zu greifen und ihr Scherflein Zeichenkultur in den Raum stellen, so gibt es nirgends einen Anlass für Bangigkeit. Die Eisenhüttenstädter sind schüchtern, aber in Behandlung. Und zwar in der des Draftsmen’s Congress von Paweł Althamer und seinem Team. Statt Forget Fear muss das Motto eher Forget Shyness sein. Und ist der Schatten einmal übersprungen/so ist auch gleich ein Bild gelungen.

So könnte man mit sich im Reimen sein. Allein an ausuferndem Zuspruch fehlt es noch ein wenig, was jedoch auch daran liegt, dass noch niemand in Eisenhüttenstadt so recht davon weiß, dass und wie und warum ihn Pinsel, Farbe, Buntstift erwarten und dass es sich bei dem faszinierenden Grüppchen im Zeichenraum am Lunik eben nicht um eine geschlossene Gesellschaft sondern um denkbar offenherzige Künstler und mehr noch Kunstvermittler handelt.

Die nutzten auch gleich zwei nieselige Nachmittagsstunden im  Brunnenring zu der ungezwungenen Demonstration, dass die Venus von Urbino nicht auf den Sperrmüll gehört (natürlich nicht), aber ein beliebiger Spermüllhaufen sich problemlos in eine Venus (von Eisenhüttenstadt) verwandeln lässt.

Wenn polnisch sprechende Menschen in weißen Kitteln in Ostbrandenburg Stücke aus dem Dielenmöbelprogramm Modell Eberswalde Typ 2 A umarrangieren, sind ihnen auf jeden Fall die Zuwendung der Neugier und manchmal auch einiger nachfragend gemeinter Worte gewiss. Womit schon einiges erreicht ist und einige erreicht sind.

Komm Zeichnen

Die Liebe im Zeichen der Zeichenkunst. Wer so herzlich einlädt, gehört reichlich besucht. Und wer die Dispatcher-Kultur im stahlharten Metallurgenärmel derart sympathisch zu paradiesischen Umständen umschüttelt, der kam ganz sicher zeichnen, um der Stadt eines dieser Zeichen zu geben, die man dringend braucht, um nicht irgendwann trotz aller Mühe mit gebrochenen Erzen dahin zu siechen.

Die Erkenntnis des Tages lautet zudem, dass es in der Eisenhüttenstadt des Jahres 2012 zwar mit dem Englischen kaum ein Blumentopf (flowerpot) zu bekommen ist, bestimmte Generationen aber tatsächlich mühelos in geschmeidiges Russisch (цветочный горшок) überwechseln können. Internationale Künstleraustausch- bzw. -kooperationsprogramme in Eisenhüttenstadt konzentrieren sich also möglicherweise angesichts der hier noch gepflegten Lingua Franca am besten direkt nach Osteuropa. Derzeit muss man aber gar nicht soviel in die Zukunft planen, denn die Gegenwart ist ein praller Beutel Farbe und Ideen, der, auf die Sand- und Kiefernbank der stillen Eisenhüttenstadt aufgelaufen, nun langsam Einiges in diese hineintropfen lässt. Allein bereits der eigens zur Veranstaltung vom ikonographisch das stadtgeschichtliche Selbstverständnis prägenden Womacka-Mosaik inspirierte Handzettel verspricht fruchtbare Tage und die Mehr-als-Ferienspiele in der Straße der Republik stehen jedem, der mag, von ca. 12 bis 17 Uhr offen. Weitere freundlich intervenierende Expansionen in den Stadtraum sind nicht auszuschließen.

Making of Venus von Eisenhüttenstadt

Es mag ja ZeitgenossInnen geben, die hinter einer bestimmten Neigung, nämlich der, in jedem Sperrmüllberg der Stadt einen potentiellen Venushügel zu sehen, etwas Bedenkliches vermuten. Wer aber der Formgebungsbrigade um Paweł Althamer dabei zusieht, wie sie aus einem geordneten Stapel Furnier und Teppich ein gefallenes Mädchen entstehen lässt, der lernt auf einmal derartige Fantasien hoch zu schätzen. Und erkennt, dass man gar nicht so sehr raffinierte Technik, ein gut situiertes Umfeld oder ein Hundertschaft Intellektueller benötigt, um etwas Einzigartiges und einzigartig Schönes zu schaffen. Sondern hauptsächlich Mut zur Kombinatorik im Vorhandenen. Insofern ist die kleine Nachmittagsschau auch ein Vorführung, wie man vermeintlich verkrampfte Städte à la Eisenhüttenstadt über leichte Interventionen aufzulockern vermag: Mit (de-)(re-)konstruktiver Unbefangenheit. Der Draftsmen’s Congress bzw. Kongress der Zeichner ermöglicht den Einwohnern der Stadt (und ihren Besuchern) nun einige Tage die Erprobung solch unverkrampften Schöpfens. Was daraus entsteht, weiß noch niemand. Aber es könnte durchaus auch gestandenen Männern gefallen. Und allen anderen sowieso.

(Text/Bilder: bk, 20.06.2012)